Sind die Deutschen ein Volk von Verbrechern und Mördern?

Historiker haben es bis heute nicht geschafft, eine rundum überzeugende Erklärung dafür zu finden, warum gerade die Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus so stark über die Stränge geschlagen haben und den bis zu uns heute nachwirkenden Zivilisationsbruch in verschiedenen Bereichen begangen haben. Es stellt sich bis heute die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass gerade das Volk von Kant, Goethe und Beethoven zu einer solchen Barbarei fähig war und Verbrechen begangen hat, die bis dahin und auch danach beispiellos sind. Hier eine mögliche Erklärung dafür, die das Phänomen hoffentlich etwas verständlicher macht.

Betrachtet man den Nationalsozialismus und seine zugrundeliegende Ideologie, fällt schnell auf, dass die meisten Merkmale und Kerngedanken in der deutschen Geschichte gar keine Wegbereiter oder Vorläufer haben. Denn die meisten Inhalte, die die Nazis zu ihrer Weltanschauung und Politik verschmolzen, sind ihrer historischen Genese nach gar nicht genuin deutsch, sondern wirken vielmehr wie von anderen europäischen Staaten zusammengetragen und von den europäischen Nachbarn ringsum übernommen.

Der Faschismus als politisches System wurde z.B. von Hitlers Vorbild Mussolini aus Italien übernommen. Der Sozialdarwinismus als Kerngedanke und grundlegende theoretische Keimzelle von Hitlers Ideologie des Kampfes zwischen höher- und minderwertigen Volksteilen oder Völkern um die Vorherrschaft und Existenz in der Welt, stammt, wie der Darwinismus selbst auch, aus England. (siehe z.B. Herbert Spencer)  Auch der Okkultismus der SS scheint von der Insel her inspiriert zu sein, denn dort waren diese Strömungen deutlich weiter verbreitet und einflussreicher als in Deutschland. Nicht zuletzt wegen dieser geistigen Nähe von Hitlers Partei zu den Briten hat Hitler bis zuletzt auf ein Bündnis mit dieser Macht gehofft. Die expansionistischen Bestrebungen und die Lebensraum-Ideologie der Nazis haben als Vorläufer in Europa am ehesten Napoleon, so wie auch der Rassismus und der Nationalismus traditionell in Frankreich viel stärker ausgeprägt waren als in den deutschen Ländern. Auch für Konzentrations- und Arbeitslager oder andere derartige Internierungseinrichtungen gibt es kein deutsches Vorbild, sondern die Schaffung solcher Einrichtungen hat sich wohl vor allem an den Gulags der damaligen Sowjetunion orientiert.

Es sieht also ganz so aus, als hätten die Nationalsozialisten von allen ihren Nachbarländern gerade das Schlechteste und Schädlichste erwählt und konzentriert, was dann zu der bekannten historischen Katastrophe geführt hat. In der deutschen Kultur sucht man dagegen vergebens nach geistigen Vorläufern oder Wegbereitern, am ehesten kann man hier noch an Nietzsche denken, der manche Kerngedanken der Nazi-Ideologie bereits ähnlich lautend formuliert hat, doch verstand sich auch dieser ausdrücklich als in keiner (nationalen) Tradition stehend, er hat vielmehr gegen alles kulturell Überkommene sein Leben lang angeschrieben und mehr oder weniger geistig gewütet.

Warum gerade die Deutschen in den begangenen Verbrechen scheinbar jedes Maß verloren haben und ihre Taten bis in das bekannte Ausmaß steigerten, lässt sich psychologisch gut erklären, wenn man erkannt hat, dass die meisten Merkmale der Ideologie und der Taten der Nazis nicht genuin deutsch, sondern in der Regel von anderen Vorbildern übernommen und der eigenen Kultur eher fremd waren. Denn wer seine Sünden gewohnheitsmäßig und dauerhaft begeht, der kalkuliert dabei und berechnet sets, wie weit er dabei gehen kann, ohne Sanktionen oder andere Nachteile fürchten zu müssen. Wer im Brechen von Regeln oder Konventionen dagegen nicht geübt ist und das nicht gewohnheitsmäßig tut, der lässt sich, wenn es dann doch mal dazu kommt, leicht hinreißen, es darin zu übertreiben und sich erwischen zu lassen. Denn die Gewöhnung an sündiges Treiben geht immer mit einer gewissen Schläue und Gerissenheit einher, die es einem ermöglicht, mit seinem Tun immer davon zu kommen und alle drohenden Konsequenzen zu vermeiden, denn nur so kann man bei seinem üblen Wandel dauerhaft bleiben. Wer dagegen in Goethes und Schillers Sinne naiv und ohne Berechnung und übler Absicht in schlechtes Fahrwasser gerät, der läuft eher Gefahr, dabei zu weit zu gehen. Denn er kalkuliert nicht, weil er an solches Tun nicht gewöhnt ist und nicht an eventuelle Folgen denkt. Dass etwas Vergleichbares in der deutschen Geschichte weder davor, noch danach zu finden ist, stützt die These, dass solche Taten und Ideologien dem deutschen Volk seinem Wesen nach eher fremd waren.