Gibt es in der Menschheitsentwicklung einen realen Fortschritt?
Platon hat sich in seinem Werk „Der Staat“ zum ersten Mal ausführlich darüber Gedanken gemacht, wie ein gerechtes Gemeinwesen verfasst sein müsste und wie es herbeigeführt werden könnte. Das wertet man in der Regel als kulturhistorischen Meilenstein und als ein Zeichen für Fortschritt hin zu mehr Gerechtigkeit unter den Menschen und einem tieferen Problembewusstsein.
Tatsächlich handelt es sich aber vielmehr um einen Indikator dafür, dass sich die Verhältnisse zu Platons Zeit allgemein verschlechtert haben, denn wenn jemand in einem Gemeinwesen lebt, in dem es alles in allem gerecht zugeht, wird er sich keine Gedanken darüber machen, wie sich Gerechtigkeit herbeiführen ließe. Es handelt sich bei seinem „Staat“ also eher um ein Zeichen, dass die Gesellschaft zu seiner Zeit tendenziell ungerechter wurde und dass man dieses Gutes in der Realität verlustig gegangen war.
Auch in vielen anderen platonischen Dialogen beklagt sich die Hauptfigur Sokrates über die Verwilderung der Sitten und darüber, dass die Mächtigen ihre Macht missbrauchten und korrupt seien. Das alles scheint also kein ausschließliches Phänomen der Neuzeit zu sein, es war offenbar schon immer ähnlich.
Die allermeisten Indikatoren, an denen man heute einen Fortschritt ablesen zu können meint sind von dieser gegensätzlichen Natur, es sind Anzeichen für Dekadenz und Verfall und nicht für eine Verbesserung oder einen kulturellen Fortschritt der Menschheit. Man versucht, Mängel auszugleichen, die zwischenzeitlich entstanden sind und die man zuvor gar nicht gekannt hatte.