Shakespeares Hamlet neu interpretiert, oder: Der Ursprung des Wahnsinns
Es ist common sense unter den Hamletinterpreten, dass der Prinz Hamlet sich verrückt stellt, um seinen Vater zu rächen. Abgesehen davon, dass eine solche Verstellung gar nicht über längere Zeit durchzuhalten ist, macht sie in seiner Lage aber gar keinen Sinn. Denn er weiß um die wahre Todesursache seines Vaters und soll ihn rächen und dazu müsste er sich vielleicht Vertraute suchen und einen Plan entwerfen, wie er unauffällig die Vergeltung üben kann. Durch sein sonderbares und auffälliges Verhalten zieht er aber gerade die Aufmerksamkeit aller Höflinge auf sich wodurch er unter ständiger Beobachtung steht.Eine gespielte Verrücktheit wäre also kontraproduktiv und Hamlet ist ein tiefsinniger Denker und würde etwas so Unkluges nicht tun. Denn Klugheit heißt ja, dass man für einen intendierten Zweck die richtigen Mittel wählt und eine solche Verstellung wäre das falsche Mittel. Die Ankündigung am Ende des ersten Aktes, wo er sagt, dass er sich vielleicht in der nächsten Zeit auffällig verhalten würde, hat die Interpreten auf diese falsche Fährte gelockt und man legt das Drama deswegen bis heute falsch aus. Es handelt sich wohl nur um eine Vorahnung, denn Hamlet kennt sich selbst und beobachtet sich genau. Diese Ankündigung hat er gemacht weil er schon die ersten Anzeichen davon an sich wahrgenommen hat.
Der wahre Grund für sein Abdriften in auffälliges Verhalten und unproduktive und quälende Grübeleien ist genau dieses exklusive Wissen. Denn für alle Höflinge geht das Leben weiter, als wäre nichts geschehen und nur Hamlet verfügt über ein Wissen, das den ganzen schönen Schein fundamental und grundsätzlich in Frage stellt. Er kann sich am Hofleben deshalb nicht mehr beteiligen, sondern zieht sich zurück und ist fast nur noch mit sich selbst und seinen Vergeltungsplänen beschäftigt, die er wegen seines kontemplativen, zögerlichen und zweifelnden Naturells nicht in die Tat umsetzen kann.
Ähnlich ergeht es auch heute vielen Menschen, die aufwachen und das Treiben der Menschen in der Welt und in der Gesellschaft grundsätzlich hinterfragen. Sie fühlen sich oft auf verlorenem Posten weil alle Menschen alle Missstände als naturgegeben hinnehemen und sich am leeren Getue und Gehabe beteiligen ohne sich nach dem Sinn zu fragen und ohne sich über das eigene Tun Rechenschaft abzulegen. Sie machen einfach, was von ihnen verlangt und erwartet wird und entfernen sich dabei immer mehr von sich selbst und der Wahrheit, sie verstricken sich immer mehr in eitles Tun, Selbstbetrug und Heuchelei. Wer das nicht tut, und sich nicht daran beteiligt, fällt durch das Raster und ist mit nichts erfolgreich, was er unternimmt. Die, die das Treiben der Menschen hinterfragen, fühlen sich oft, als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werden, sie verhalten sich auffällig, haben als extrem oder verrückt geltende Meinungen und Ansichten und wenn es schlecht läuft, verlieren sie die Kontrolle über ihr Verhalten vollständig und landen in der Psychiatrie oder im Gefängnis. Siehe hierzu auch den Abschnitt über das Zeichen des Tieres 666 aus der Johannesoffenbarung.
Die Hellsichtigen und die, die die Dinge im Denken durchdringen, waren immer auch die, die am meisten unter den herrschenden Missständen gelitten haben. Thomas Mann sprach in diesem Zusammenhang von der Last und der Bitternis der Erkenntnis. Denn wer die Welt erkennt, der erkennt zwangsläufig auch, dass Vieles nicht so ist, wie es sein sollte, woran man, wenn man einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat, zerbrechen kann. Deswegen heißt es in den Weisheitsschriften der Bibel an mehreren Stellen, dass der Weise durch seine Einsicht in die Natur der Dinge auch viel Bekümmernis und Unbill erfährt. Viele Weise und Propheten haderten deswegen auch mit Gott und seiner Gerechtigkeit.
So war es bisher in der alten Welt, wenn aber die neue Welt anbricht, werden die Hellsichtigen unter den Menschen wieder gesunden und neu aufleben und dann die neue Ordnung bestimmen. Denn das Recht wird mit Macht durchgesetzt und wer sich am Unrecht beteiligt oder bereichert hat, wird alles wieder verlieren, denn er hat sein Haus auf schlüpfrigem Grund errichtet und seinen Wohlstand auf Nichtigkeit gegründet.