Wenn jemand sich eine Tugend oder eine andere positive Eigenschaft zuschreibt und stolz drauf ist, weist er diese nie auf. Denn alle guten Eigenschaften, die jemand aufweist, sind ihm selbst unbewusst, sie liegen seinem alltäglichen Handeln zugrunde und bestimmen dieses aus dem Hintergrund. Sobald er sich dieser Eigenschaft aber bewusst wird und sich dafür loben lässt, wird sie unwirksam.

Dieses Prinzip ist das Hauptwirkprinzip aller Psychotherapien, denn nicht nur positive Eigenschaften verfliegen, sobald sie benannt und bewusst werden, sondern auch negative. Wenn jemand leidet, hat es immer eine heilende Wirkung, wenn ihm die zugrundeliegenden  Mechanismen und die dahinter stehenden Wirkprinzipien bewusst werden. Man sagt in diesem Sinne auch: „Die Wahrheit macht frei“. Die Psychoanalyse fußt z.B. auf diesem Prinzip.

So wie sich schädliche Komplexe auf diese Weise auflösen lassen, so ist dieses Prinzip aber auch im Bereich von positiven Eigenschaften wirksam, denn wenn sich jemand selbst für etwas rühmt oder wenn er von anderen für eine vermeintliche Tugend oder gute Chraktereigenschaft gelobt wird, verliert er diese, wenn er auf dieses Lob eingeht und es annimmt und damit bestätigt. Denn falsches Loben und Rühmen, so wie es heute üblich ist, schmeichelt der Ehrsucht und nährt Stolz und Hochmut. Diese Sinnesarten, wenn sie genährt werden und dadurch wachsen, machen alle Tugenden eitel weil sie die guten Geister vertreiben, die die positiven Eigenschaften bewirken. Auf diese Weise rauben sich die Menschen viele ihrer Tugenden und verderben sich gegenseitig den Charakter. Denn so gern die meisten Menschen sich schmeicheln, rühmen und loben lassen, so schädlich sind auch die Folgen dieses Treibens.

Wenn z.B ein Wissenschaftler oder Journalist von sich behauptet, er wäre in seiner täglichen Arbeit objektiv, neutral oder anders hervorstechend tugendhaft und von anderen dafür Anerkennung verlangt, erweist er dadurch, dass er tatsächlich in seiner täglichen Routine genau dem Gegenteil folgt, nur begreifen es solche Leute nicht.  Es ist ihnen in der Regel auch gleichgültig, dass sie eine Tugend gar nicht aufweisen, weil es ihnen nicht um die Tugend geht, sondern nur darum, gerühmt und gelobt zu werden. Denn aus diesem Grund tun die Menschen das meiste von dem, was sie tun, sie suchen Anerkennung und Lob und einen guten Ruf in der Fach- oder Mitwelt, nicht Tugendhaftigkeit in ihrer täglichen Arbeit oder einen guten Charakter.

Deswegen werden jetzt alle Journalisten und Wissenschaftler weltweit aufhören, sich selbst als neutral oder objektiv zu definieren oder zu verstehen und sie werden stattdessen wieder nach diesen Eigenschaften und Merkmalen in ihrer täglichen Arbeit streben. Man wird sich solche Dinge nicht mehr selbst oder gegenseitig zuschreiben, sondern sich von ihnen leiten lassen und erstreben, sie aufzuweisen.