Es gibt verschiedene Arten, die heiligen Schriften zu lesen, die einen führen zu größerer Rechtschaffenheit und andere in die Irre und zur Sünde. Die vor allem unter den Geistlichen aller Konfessionen übliche ist, dass man alle negativen Beschreibungen und alle Kritik auf alle Anderen bezieht und die guten Beschreibungen und alle schönen Verheißungen auf sich selbst. Diese letztere, allgemein übliche Lesart führt in den Irrtum und zur Heuchelei und entfernt den Menschen von Gott und sich selbst.
Wer sich als Leser, Verkünder oder Lehrer der Schriften also innerlich angesprochen fühlt, wenn Aussagen über ‚die Heiligen‘ gemacht werden, was das ihnen zugedachte Schicksal ist und was sie zuletzt erfahren und erhalten werden, der kann mit relativ großer Sicherheit davon ausgehen, das er damit gar nicht gemeint ist, d.h. dass er zu dieser Gruppe, zu der er sich selbst selbstverständlich zählt, gar nicht gehört. An diesen Menschen wird sich das Wort Jesu bewahrheiten von denen, die sich selbst als die Ersten ansehen, aber zuletzt zu den Letzten gehören werden. Denn sie haben durch ihr Lehren oder Verkündigen die Lehren der Schriften in der Regel nicht verbreitet oder angemessen erklärt und erschlossen, sondern diese bei ihren Hörern eher in Misskredit gebracht, einerseites durch ihren eigenen Irrtum, ihre Unverständigkeit in ihren Erklärungen und Lehren und andererseits durch ihre unangemessene Geisteshaltung und ihren Mangel an Nüchternheit, Selbstkritik und Demut. Weil sie diese Eigenschaften in der Regel nicht aufweisen, müssen sie sie heucheln, weil sie ja in den Schriften von allen Gläubigen gofrdert werden, was jeder Hörer und Beobachter intuitiv erkennt, was die Religion weiter ihres Ansehens und ihrer Überzeugungskraft beraubt. Sie haben der Religion, die sie eigentlich verkündigen und verbreiten sollen, also in der Regel einen Bärendienst erwiesen, sie haben dafür gesorgt, dass sich die Menschen von den Schriften eher abwenden, anstatt sie dafür zu gewinnen, was ihre Aufgabe ist. Auch dieses, ihr Wirken ist in den Schriften, die sie eigentlich verstehen und anderen erklären sollten, für unsere Zeit angekündigt. Beispiele für solche verkehrten Geisteshaltungen finden sich nicht nur bei den Christen, sondern auch bei vielen Juden und Muslimen, wenn auch in den verschiedenen Konfessionen jeweils andere Fehleinschätzungen und irrige Überzeugungen, auch über sich selbst und die eigene Rolle in Gottes Weltplan, vorherrschen. In ihren Schriften finden sich die jeweiligen Anhänger und Lehrer deutlich beschrieben, nur bezogen sie diese Beschreibungen immer auf alle anderen und nie auf sich selbst.
Der Mensch hat während seiner irdischen Existenz keine Möglichkeit, sicher herauszufinden, ob Gott ihm gerade wohlgesonnen ist, oder ob er ihm gerade zürnt. Auch Propheten wissen das nicht, sie wissen auch nur, was ihnen geoffenbart wird, weswegen Mohammed im Koran an einigen Stellen versichert wird, dass Gott ihm nicht zürnen würde. Wer sich also sicher ist, von Gott bevorzugt oder verworfen zu sein: Beide sind in Täuschung, denn solche Überzeugungen beruhen nicht auf Wissen und Tatsachen, sondern sind in der Regel Irreleitungen der Dämonen oder der Götter, die einen durch diese Täuschung zu irgendetwas veranlassen wollen oder den Geist und das Selbstbild eines Menschen verderben und ihn in trügerischer Sicherheit wiegen oder ihn in Unruhe und (Selbst-) Zweifel bringen wollen.
Die bessere Lesart ist, dass man alle Kritik auf sich selbst bezieht, d.h. dass man sich bei allen Mahnungen fragt, ob man es selbst nicht manchmal genauso macht, wie es da beschrieben ist, auch wenn über Gruppen von Menschen gesprochen wird, zu denen man sich selbst nicht zählt. Diese Lesart führt zur Läuterung, zur Erkenntnis und zum Wachsen in der Rechtschaffenheit und das ist der Sinn und Zweck, zu dem die Schriften herabgesandt wurden.
Gott straft die Menschen nie, ohne ihnen zuvor mitgeteilt zu haben, wovor sie sich hüten sollen. Alle Sünden, mit denen sich die heutigen Geistlichen der verschiedenen Religionen schuldig machen, sind in ihren Schriften bereits benannt, nur werden sie darin auf andere Menschengruppen bezogen, zu denen sich die Geistlichen selbst nicht zählen. So kommt es, dass heute die christlichen Kleriker viele Dinge machen, die zu Jesu Zeit die damaligen Schriftgelehrten und Pharisäer machten und wogegen Jesus unmissverständlich gepredigt hat.
Auch die muslimischen Geistlichen machen heute Vieles, was im Koran am Beispiel von Juden und Christen getadelt wird. So mahnt der Koran z.B. die Juden, nicht an einen Teil der Schrift zu glauben und einen anderen aufzugeben. Dasselbe machen die muslimischen Schriftausleger, wenn sie den Koran gemäß der Abrogationslehre auslegen. Denn weil sie manche Verse nicht anders miteinander in Einklang bringen können, haben sie eine komplizierte und unübersichtliche Lehre entwickelt, nach der bestimmte spätere Verse bestimmte ältere aufheben würden, weil sie miteinander in offenkundigem Widerspruch stehen. Dadurch erklären sie einen großen Teil des Korans faktisch für ungültig, was im Koran selbst bereits untersagt ist.
Das Buch der Rechenschaft ist für die Juden die Tora, für die Christen die Bibel und für die Muslime der Koran, das sind die Bücher, an denen sie gemessen werden und so wird es auch im Koran gehandhabt, denn Gott kritisiert die Juden und Christen nicht dafür, dass sie Mohammed und dem Koran nicht folgen, sondern sie werden dafür getadelt, dass sie den zu ihnen herabgesandten Schriften nicht folgen, d.h., sie werden nach diesen gerichtet denn für sie sind die darin enthaltenen Gebote gültig. Auch Jesus erwähnt dieses Prinzip wenn er die Juden mahnt dass nicht er ihr Ankläger sei, sondern Mose, auf den sie ihre Hoffnung setzten. Sie wurden von Jesus also nach den zu Mose herabgesandten Schriften bewertet.
Die Sünden, mit denen sich die Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften schuldig machen, sind also bereits bei der Grundlegung ihrer Glaubenslehre festgesetzt, denn jedes Volk hat seine Rolle und Aufgabe in Gottes Heilsplan.
Die für eine Glaubensgemeinschaft relevanten Verfehlungen werden in den Schriften am Beispiel anderer Menschengruppen beschrieben und in den christlichen Schriften z.B. meist nicht auf die Anhänger Jesu bezogen, denn wenn die Gläubigen einer Konfession bereits in ihren grundlegenden Schriften negativ und sündig beschrieben wären, wer würde dieser Gemeinschaft dann angehören wollen? Die Anhänger würden scharenweise zu anderen Konfessionen übertreten oder es würde sich eine Religion gar nicht erst bilden und entwickeln denn die Angehörigen dieser kritisierten Religion würden einen Weg suchen, zu einer anderen Konfession zu konvertieren. Wenn die Gläubigen bereits in ihren eigenen Schriften kritisiert oder schlecht dargestellt wären, würden die Anhänger anderer Konfessionen sie damit aufziehen und es ihnen vorhalten und sie könnten dem nichts erwidern weil es ja in ihren eigenen Schriften steht. Sie müssten diese sonst verleugnen und für ungültig erklären.
Es muss also über diesen Umweg geschehen, dass den Menschen klar gemacht wird, wovor sie sich zu hüten haben und dass Gott den Gläubigen klar macht, was ihm missfällt.