Wozu der Glaube befähigt
Der Glaube gibt die Fähigkeit, den Phänomenen und Geschehnissen in der Welt die zutreffenden und selbst nicht beobachtbaren übernatürlichen Ursachen zuzuordnen. Der Glaube und die Weisheit sind also die Vermögen für alle metaphysischen Fragen, nicht die Vernunft, wie viele Philosophen, vor allem seit der Zeit der sogenannten ‚Aufklärung‘ meinen. Weil sich mithilfe der Vernunft keine metaphysischen Fragen beantworten lassen, bezweifeln auch viele Philosophen die Möglichkeit oder den Nutzen der Metaphysik, obwohl diese gerade die Fragen behandelt, die alle Menschen von Natur aus existenziell interessieren. Aus diesem Irrtum und dieser Fehldefinition heraus beraubt man die Philosophie also ihres wichtigsten, interessantesten und entscheidenden Gegenstandes. Denn ein Philosoph ist dem Namen nach ein Freund der Weisheit und wenn man die genuin weisheitlichen Fragen aus der Philosophie verbannt, weil sie sich allein mit der Vernunft nicht bearbeiten oder klären lassen, ist offensichtlich irgendwas in Schieflage geraten und die ganze Sache erfüllt ihren eigentlichen Zweck nicht mehr.
Weisheit ist ohne Glauben nicht erreichbar und man kann den Glauben auch als eine auf Gott gerichtete innere Haltung verstehen, die von Zustimmung und Aufnahmebereitschaft geprägt ist und durch die man empfängt. Der Unglaube dagegen ist durch Widerwillen, Zurückweisung und Ablehnung gegenüber den göttlichen Mächten geprägt. Der Gläubige empfängt Einsicht, Wissen, Verständnis, Weisheit, Erkenntnis, Hoffnung, Zuversicht und alle anderen nützlichen Gaben. Denn alle zutreffende Erkenntnis wird von Gott gelehrt, der Mensch kann sie nicht willentlich schaffen oder erzeugen. Was ihm hier nicht gegeben wird, kann er sich selbst nicht nehmen, er kann das Verstehen und die Einsicht nicht selbst herbeiführen und er erzeugt auch alle seine Einfälle, die z.B. Problemlösungen enthalten, nicht selbst.
Es kann nur durch den Glauben erkannt werden, dass alles Dasein und Werden Gottes Werk ist und dass er alles bestimmt, was in der Welt ist und geschieht. Man erkennt das, indem man die Schriften auf die Wirklichkeit, den Alltag und die Geschichte anwendet und damit man das tun kann, muss es grundsätzlich außer Frage stehen, dass die Schriften wahr reden. Anders lässt sich das nicht ergründen denn für alles, was über das durch die Sinne zugängliche hinausgeht, braucht es Glauben und Vertrauen auf die Wahrhaftigkeit Gottes und der von ihm offenbarten Schriften.
Es geht im Glauben nicht darum, den sichtbaren Dingen eine besondere oder bestimmte Natur zuzuschreiben, man fragt nicht danach, was die Dinge der sinnlichen Welt sind, wie man es in den (Natur-) Wissenschaften tut, sondern danach, warum und zu welchem Ende es so eingerichtet wurde, wie es ist und was die Ursachen von allem Sichtbarem sind, d.h. was der sinnlichen Welt zugrundeliegt und durch die Sinne nicht erfassbar ist. Das sind die wirklich interessanten Fragen, die sich jeder Mensch von Natur aus stellt. Weil diese Gegenstände mit empirischen Erkenntnismitteln nicht ergründbar sind, müssen sie in den Naturwissenschaften in der Regel als gegeben vorausgesetzt werden.
Der Glaube ist also ein zusätzliches Erkenntnisvermögen, mit dem sich Zusammenhänge erfassen lassen, die für die anderen Vermögen nicht erfassbar sind weil sie darüber hinausgehen. Es steht nicht in Konkurrenz zu den anderen Erkenntnisvermögen, die jeder hat, man hat z.B. nicht den Glauben statt der Vernunft, sondern der Gläubige nutzt alle übrigen Vermögen wie die Ungläubigen auch und zusätzlich hat er noch den Glauben. Es ist offensichtlich, dass es ein Vorteil ist, wenn man ein Erkenntnisvermögen mehr zur Verfügung hat.
Wie gezeigt wurde, konkurrieren die Weisheitstraditionen, die auf den heiligen Schriften beruhen, nicht mit den Naturwissenschaften um eine Erklärung der Welt, sondern ergänzen und komplettieren diese. So wie auch Biologie und Physik nicht miteinander in Konkurrenz stehen weil sie die Wirklichkeit in jeweils anderer Hinsicht betrachten, sondern sich ergänzen. Die Biologie betrachtet die Natur z.B. insofern sie lebendig ist, während die Physik vor allem die Welt der Körper und die darin wirkenden Naturkräfte im Blick hat.
Der Glaube unterscheidet sich vom Aberglauben dadurch, dass seine Inhalte auch gültig sind für alle, die diesen Glauben nicht haben, ganz einfach, weil es wirklich so ist. Der (Un-) Gläubige entscheidet durch seinen (Un-) Glauben nicht, wie es wirklich ist und es ist nicht anders, je nachdem, was einer glaubt und damit für wahr hält, sondern er entscheidet nur für sich selbst, ob er die Wahrheit so, wie sie ist, akzeptiert oder ablehnt. Die Aussagen sind also absolut gültig, während die Inhalte des Aberglaubens nur für die gültig sind, die sich darauf einlassen und die diesen speziellen Aberglauben annehmen. Alle Inhalte eines Aberglaubens sind also bloß relativ gültig, und enthalten keine übernatürlichen Tatsachen. Nicht wenige heutige Glaubensinhalte von Juden, Muslimen, Katholiken, Protestanten usw. fallen unter den Aberglauben. Viele Fragen, zu denen es unterschiedliche Auffassungen gibt, sind Fragen danach, wie etwas definiert ist, d.h. wie man etwas versteht. Alle begrifflichen Bestimmungen und Definitionen der Menschen sind willkürlich und liegen im Ermessen jedes Einzelnen und ändern sich mit der Zeit. Sich mit diesen Fragen zu befassen ist müßig und alle Ergebnisse, die Theologen auf diesen Gebieten erreicht zu haben meinen, werden als nutzloses Scheinwissen aus der Weltweisheit ausgeschieden und vergessen.
Alle interkonfessionellen Streitereien um willkürliche Definitionen und Begriffe werden also wegfallen denn die Wahrheit ist auf alle Religionen und Glaubensrichtungen gleichmäßig verteilt und die Schriften, die die Grundlage der Glaubensrichtungen enthalten, sind alle miteinander vereinbar, wie in diesem Abschnitt ausführlich gezeigt wird. Das, was als unvereinbar gilt, sind nur die Auslegungen der jeweiligen Gelehrten, die den Sinn oft verengen und falsch festlegen. Sie tun das in der Absicht, einzelne Stellen der Schriften fasslicher zu machen und zu erklären, aber in Wahrheit verfälschen sie die Schriften. Sie ersetzen sie partiell durch Lehren aus ihren eigenen menschlichen Traditionen weil sie die schwer verständlichen Stellen in den Schriften anders nicht in Einklang miteinander bringen können. Alle Propheten und auch Jesus kritisierten diese uralte Praxis scharf, weil sie Teile der Schriften, die den Auslegungen der Gelehrten widersprechen, faktisch aufheben.
Dieser missbräuchliche Umgang mit den Schriften ist Praxis unter den Gelehrten aller Glaubensrichtungen und man wird damit wieder aufhören. Auch bei Übersetzungen in andere Sprachen werden eindeutige aber schwer auslegbare Schriftstellen häufig umgedeutet, oft mit der Absicht, den Text dadurch leichter verständlich zu machen oder zu ‚berichtigen‘. Alle diese Veränderungen am tatsächlichen Wortlaut der Originale, die man bisher für Verbesserungen hielt oder aus besonderer, falsch verstandener Frömmigkeit vornahm, wird man wieder rückgängig machen, denn durch die endgültige Schriftauslegung des Messias werden alle dunklen Stellen verständlich und wahrheitsgemäß erklärt. Alles wird zuletzt aufgehen und man wird über die Genauigkeit der Schriften staunen denn es gibt in ihnen kein unnützes, überflüssiges Wort und keinerlei Unschärfen, Schwammigkeiten oder inhaltsleeren Stellen, wie sie in allen von Menschen verfassten Schriften zahlreich zu finden sind.