Politische Analysten und Kommentatoren, Politiker und Medienschaffende im Westen werden aufhören, die Handlungen von Regierungen in anderen Kulturkreisen nach unseren westlichen Maßstäben zu bewerten. Denn nur weil der Westen im Moment wirtschaftlich und militärisch dominant in der Welt ist, heißt das nicht, dass das westliche Wertesystem allen anderen Begründungen der Moral und der politischen Ordnung überlegen ist und dass es alle Länder der Welt übernehmen und sich nach unseren Vorstellungen richten müssen.
Man wird z.B. aufhören, die neue Regierung in Afghanistan nach unseren westlichen Maßstäben zu bewerten, denn dort herrscht ein anderes Wertesystem und andere Moralvorstellungen als im Westen. Die Taliban verhalten sich richtig, wenn sie ihre eigenen Gebote befolgen und ihre Werte umsetzen, nicht unsere. Daran sollte man sie messen, d.h. man soll sie kritisieren, wenn sie etwas tun, das dem Koran widerspricht, denn die meisten Ungerechtigkeiten und Missstände in der islamischen Welt resultieren aus einem falschen Koran- und Islamverständnis. Die meisten Dinge, die bei uns immer kritisiert werden, sind auch im Koran untersagt, denn die grundlegenden Werte und Gebote sind in allen Traditionen weitestgehend gleich.
Umgekehrt wird man in der islamisch geprägten Welt den Westen nicht mehr als moral- und wertelosen Sündenpfuhl betrachten und alle Menschen westlicher Herkunft als moralisch minderwertig betrachten und ablehnen, denn auch diese heutigen Zustände und Verhältnisse in der christlich geprägten Welt sind nicht von den Menschen selbst schuldhaft, d.h. willentlich herbeigeführt, sondern sie sind von Gott so bewirkt. Das ist dadurch erwiesen, dass dieser heutige Zustand in den Schriften auch genau so für unsere Zeit angekündigt ist. Es könnte nicht anders sein, weil es Gottes Wille ist, dass die Welt heute so ist, wie sie ist. Denn der Mensch hat auf diese großen Entwicklungen weit weniger Einfluss, als es oft den Anschein macht. Gott lenkt und steuert alles, was bei uns geschieht.
Wenn wir die Taliban nach unseren westlichen politischen und ethischen Vorstellungen beurteilen, ist das, wie wenn man ein Fußballspiel nach den Regeln für Handball bewertet: Es wirkt alles schlecht und falsch denn man erhält zwangsläufig überall Regelverstöße und Foulspiele weil die Herangehensweise bereits eine falsche ist und die zugrundeliegenden Voraussetzungen bereits für diesen Fall ungültig und nicht anwendbar sind.
Die Afghanen müssen nicht nach unseren Vorstellungen leben und das wollen die meisten auch gar nicht, die vorherige, vom Westen eingesetzte und unterstützte Regierung, die viele Neuerungen nach unseren Vorstellungen brachte, war unter den Afghanen bestenfalls geduldet, man musste sie akzeptieren weil man keine Macht hatte, das neu installierte System zu verändern. Auch die Regierenden haben die westlichen Werte nur vertreten, um an der Macht zu sein und um eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Beliebt waren diese Leute im Volk nie weil es viel Unordnung, Ungerechtigkeit und Korruption im Land durch sie gab. Davon hörte man in unseren Medien und in den Nachrichten allerdings wenig, es wurde meist hingenommen, übergangen und totgeschwiegen.
Jetzt haben sie wieder eine afghanische Regierung und das wird Stabilität und Ruhe für das Land bringen und sie können wieder nach ihren eigenen Vorstellungen leben. Im Westen wird man damit aufhören, sie ständig zu mahnen oder Forderungen zu stellen, denn das ist nicht unsere Aufgabe und wir haben auch gar keine Legitimität dafür.
Unsere Analysten, Kommentatoren und Politiker sollen sich um die vielen, meist verschwiegenen und als unveränderbar hingenommenen Misstände hier bei uns kümmern und Lösungen hierfür finden, denn da sind sie voll ausgelastet und haben genug zu tun. Dafür sind sie zuständig und hier können sie auch wirklich sinnvolle Veränderungen bewirken.
Anderen Ländern in ihre inneren Angelegenheiten hineinzureden und ihnen Vorgaben zu machen oder Forderungen zu stellen, hat noch noch nie etwas Positives bewirkt, es bewirkt nur Unfrieden zwischen den Völkern und Unwillen beim Adressaten. Es fördert das Misstrauen und die wechselseitige Ablehnung. Wenn eine in solchem Geist gemahnte Regierung auf Forderungen von außen eingeht, tut sie das meist nur inform von Alibimaßnahmen um endlich Ruhe zu haben. Solche Maßnahmen sind in der Regel Augenwischerei, sie sind nie ernst gemeint und entschlossen durchgeführt und haben noch nie eine wirkliche Veränderung zum Besseren für das jeweilige Land und das Volk bewirkt. Man mehrt damit nur den Unfrieden und die Unordnung und wird deshalb damit aufhören, im Innern anderer Länder strategische Interessen zu definieren und zu verfolgen.